Kaitersberg Trail

Kaitersberg Trail: „Niemand hat gesagt, dass es leicht wird!“

„Aber muss es so schwer sein?“ Diese Frage habe ich mir im Laufe des Rennens häufiger gestellt. Nach 10 Kilometern hatte mir der steile Grasweg endgültig den Zahn gezogen. Ich zweifelte zunehmend an mir selbst und wusste, dass es jetzt nur noch darum ging, diesen Lauf durchzustehen und im Ziel anzukommen.

Doch beginnen wir von vorn: Bad Kötzting, ein wunderbarer kleiner Ort inmitten des Bayerischen Waldes, war unser Ziel zur Teilnahme am Kaitersberg Trail. Wir, das sind Qi, Jens und ich, waren schon einige Male den benachbarten U.TLW gelaufen und hatten uns aus einer Laune heraus (Jens!) angemeldet. Die Rahmenbedingungen waren perfekt: Das Wetter war sonnig, wir waren frühzeitig angereist, hatten genügend Zeit für einen ersten entspannten Streckencheck und die Startnummernausgabe und die Stimmung war ausgelassen. Abends ging es in die typisch bayerischen Gastwirtschaften mit rustikalem Essen und hellem Bier.

Bad Kötzting ist sehenswert

Der Start und die ersten Kilometer

Beim Start kamen mir leichte Zweifel an unserem Entschluss, als ich die angetretenen Läufer/-innen sah. Athleten aus der Umgebung, berggewöhnt, jung und dynamisch, ja geradezu gefährlich sportlich. Wie sollten wir da mithalten?

Beeindruckend war der Start. Während bei den hiesigen Volksläufen eine Spannung herrscht, als ob es um den Olympiasieg gehen würde, und um die besten Startplätze gerungen wird, waren hier die Läufer/-innen entspannt, prüften die Ausrüstung ein letztes Mal und unterhielten sich, als ob nichts wäre. Nach dem Startschuss (wo habt ihr eigentlich diese lauten Böller her?) trabte das Teilnehmerfeld langsam los zu einer Startrunde um den Sportplatz. Die Atmosphäre war sehr angenehm und entspannt.

Ein entspannter Start

Vom Start ab ging es bergauf, zunächst locker, dann immer steiler die ersten 5 Kilometer auf Waldwegen bis zur ersten Verpflegungsstation. Hier begann nun das eigentliche Traillaufen auf schmalen Wegen, zunehmend unwegsamer, bergauf und immer weiter bergauf über Wurzeln und Felsen an einer Höhle vorbei und hinauf bis zum ersten Gipfel, dem Kreuzfelsen. Das Gipfelkreuz steht beeindruckend auf einer Felsfläche, die Aussicht ist genial und wir blickten wie Vögel über das ganze Land. So schön!

Räuber-Heigl Höhle (Disclaimer: Diese Fotos hatten wir schon am Tag zuvor geschossen)
Am Gipfelkreuz
Ein weiter Weg bis Madrid
Aussicht, Felsen, Spaß

Am Ende der Kräfte – nach einem Drittel der Strecke

Die erste Etappe hatten wir bewältigt, jetzt ging es ein wenig drunter und drüber. „Wadl Spreizer“ heißt übrigens der eingangs erwähnte Grasweg, der uns unfassbar steil und schier unendlich in die Höhe führte und schlussendlich an der Kötztinger Hütte endete. Wir hatten weniger als ein Drittel der Strecke hinter uns gebracht und meine Kräfte waren vollständig verbraucht. Hier hätte ich den Lauf gut beenden können und wäre zufrieden und stolz gewesen. Aber es ging ja noch weiter, weiter, immer weiter.

An der Hütte nahm ich mein bewährtes Doppingmittel, das mir schon oft geholfen hatte: meine Spotify-Playlist! Die aufputschende Musik trieb mich zunächst bergab und verlieh mir die sprichwörtlichen Flügel – auch die nächsten Kilometer bergauf. Aber wie es so mit Doping ist – irgendwann endet die Wirkung, der Berg aber leider nicht. Also schleppte ich mich mit letzter, nein mit allerletzter Kraft hinauf, über Wurzeln, Felsen, Geröll und gelangte endlich an den höchsten Punkt der Strecke, den Riedelstein. Ein kleiner, unauffälliger Felsen, auf dem ich mindestens eine Minute verharrte, um den Moment zu genießen und wieder zu Kräften zu kommen. Unbezahlbar!

Ich werde diesen Moment nicht vergessen, an dem ich wusste, dass ich es geschafft hatte, an dem ich die Aussicht genoss und mit dem Streckenposten und einer Mitläuferin scherzte.

Mit letzter Kraft einige Fotos geschossen. Aber die Aussicht war es wert.

Vor mir lagen noch etwa 11 Kilometer, überwiegend bergab, und ich war mir sicher, den Rest jetzt irgendwie über die Bühne zu bekommen. Die Betonung liegt auf „irgendwie“, denn ich wusste nicht, was mich erwartet. Das Gelände im Bayerischen Wald ist alpin, aber nicht schotterstraßen-alpin, sondern kraxel-alpin. Es ging über mit Felsen verblockte und Wurzeln überwachsene Wege steil bergab, immer weiter, ohne Ende, und ich musste mich auf jeden einzelnen Schritt konzentrieren, um nicht zu stürzen. Kraft und Konzentration lassen im Verlauf eines Rennens stark nach und Unfälle geschehen in der Regel am Ende, sodass man doppelt konzentriert und vorsichtig sein muss. Die Laufstöcke waren dabei eine große Hilfe.

Ich war mittlerweile ziemlich am Ende des Läuferfeldes angelangt und am Ende meiner Kräfte, sodass ich weder auf meine Lauffreundin Qi warten noch an den spektakulären Aussichten viel fotografieren konnte. Mein Körper lief im Auto- und Notfallmodus und war zu nichts anderem mehr fähig. Es gab noch wilde Klettereien über Felsen, endlose Auf- und Abstiege und verschiedenartigste Trails und immer wieder atemberaubende Aussichten und Laufpassagen. Erschöpfung und Begeisterung mischten sich.

Ein Bier im Ziel

An der vorletzten Verpflegungsstation scherzte ich mit den Streckenposten, dass ich mir am Ziel unbedingt ein Bier wünschen würde. Er versprach, dort anzurufen und sich darum zu kümmern. An der letzten Verpflegungsstation, wo ich eine Pause machte, holte mich Qi ein und glücklich liefen wir zusammen die letzten fünf Kilometer Richtung Bad Kötzting. Hier mussten wir dem Streckenverlauf Tribut zollen und die allerletzten Körner verbrennen, obwohl es doch nur noch bergab ging.

Im Ziel konnten wir jubeln, Max nahm uns in Empfang und dann sanken wir zusammen, beide am Ende unserer Kräfte. Jens war schon vor uns im Ziel und war uns entgegengegangen, um uns abzuholen. Ich hatte mich die letzten zwei Stunden auf mein Bier gefreut und so führte mich mein erster Weg direkt für ein Radler zur Bierbude. Noch nie hat mir etwas so gut geschmeckt! Und in Bayern erst recht.

Was bleibt?

Ein wunderbarer Lauf

Danke ihr lieben Veranstalter, danke an die vielen helfenden Hände, die freundlichen Helfer/-innen, das Publikum und die Wanderer an der Strecke! Bei Start und Ziel war die Stimmung wunderbar freundlich mit vielen netten Menschen. Ohne euch wäre das alles nur halb so schön.

Die Strecke ist der Hammer: Schön und herausfordernd zugleich – und sie hat mir eine neue Dimension des Traillaufens nahegebracht. Ich kann diesen Lauf nur empfehlen!

Siegerehrung mit allen Läufer/-innen. Die Sieger waren etwa doppelt so schnell wie wir … Glückwunsch und Anerkennung für diese Leistung!
Foto mit Max Hochholzer

Muss es so schwer sein?

Warum nehme ich solche Strapazen auf mich? Zum Sport gehören Grenzen und ihr Überschreiten – in kontrolliertem Maße. Ich habe an diesem Tag die Grenzen meiner möglichen Grenzüberschreitungen erlebt und weiß nun genauer, was ich mir zumuten kann und was nicht. Auch für alpinerfahrene und leistungsfähige Läufer/-innen ist der Kaitersberg Trail eine Herausforderung. Strecke und Landschaft sind es wert!

Mein Alter

Ich hadere – nein – ich stelle fest, dass ich zu den älteren Semestern gehöre, nicht die Leistungsfähigkeit der Jüngeren habe und mehr und mehr am Ende des Feldes laufe (auch bei unseren Trainingsläufen). Auf der anderen Seite bin ich zufrieden mit mir und stolz auf das Erreichte. Ich habe den Kaitersberg Trail bewältigt, während etwa ein Viertel der (wesentlich jüngeren) Teilnehmer/-innen abgebrochen hatte. So ganz schlecht ist das wohl nicht.

In diesem Jahr bin ich meinen neunten Hermannslauf gelaufen und habe nach wie vor viel Freude am Sport. Das Traillaufen ist mein Ding, verrückte Läufe in Bayern und im Teutoburger Wald, in den Bergen, im Matsch und gerne auch mal grenzwertig, im Chaos und ohne Wege. Also bin ich mir zwar meiner Grenzen bewusst, aber stecke den Kopf keineswegs in den Sand. So kann es noch ein paar Jahre weitergehen. Umso wichtiger ist es, dass ich mir endlich meinen Traum erfülle und im November den New York Marathon laufen werde. Wer weiß, wie lange ich es noch kann!

Wie geht es weiter?

Der Bayerische Wald hat es uns angetan. 2023 kommen wir auf jeden Fall wieder zum U.TLW nach Lam und freuen uns darauf. Ihr seid die Besten!

Zurzeit mache ich wie in jedem Jahr eine Laufpause und werde 4-6 Wochen lang meine Laufschuhe nicht anfassen. Wir werden allerdings ein paar Salomonläufe absolvieren, die ich wegdefiniere. Anfang Juli geht es dann wieder los und wir nehmen unser durch Corona verschobenes Laufprojekt „Schlösser und Burgen in Lippe“ auf. Ich freue mich schon darauf.

Geht raus in den Wald und genießt die Natur! Laufen macht glücklich.

Schön war’s!

Geht raus in den Wald und genießt die Natur! Laufen macht glücklich.

 

 

Danke, Jens für einige Fotos.

2 Comments

  • Hallo Hans
    Respekt! Ich habe Deinen unterhaltsamen Bericht gelesen.
    Dein Wille und Durchhaltevermögen ist toll und vorbildlich. Beim Lesen merkt man, dass Du das mit Leidenschaft und Hingabe machst und Dich glücklich macht. Das gönne ich Dir!

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